Halbzeit meiner Quest

Ein Jahr Vorbereitung, um mein Leben zu klären. Unerledigte Dinge zu bereinigen, Getrenntes zusammenzubringen, Unausgesprochenes zu vermitteln. Formalitäten zu regeln. Testament, Vollmacht und Patientenverfügung sind schon seit meiner Ecuadorreise im März erstellt. Mein Kopf meinte, fast alles geregelt und erledigt zu haben. Nichts als Gedanken.

Jetzt ist mir klar geworden, dass ich ja gar nicht weiß, wohin der Weg mich führt. Was die Spirits auf dem Berg mit mir vorhaben. Was werde ich mit zurückbringen? Geschieht überhaupt etwas?
Nichts ist schlimmer als Erwartungen. Dies stellte ich immer wieder fest. Gerade, wenn ich etwas schon zu kennen meine. Wie auf der Almhütte oder im Dschungel beim zweiten Besuch. Der Vorteil ist jetzt, dass es meine erste Visionssuche ist. Neu. Mit einer gehörigen Portion Respekt.

Am letzten Wochenende fand das Novembercamp statt. In der Woche davor war es kalt und regnerisch. Mein Körper zeigte mir meine Grenzen auf. Sorgen, Zweifel. Immer wieder gilt es, den Geist klar zu halten. Keine Konstruktionen, keine Vorstellungen. Ich weiß nicht, wie das Wetter im nächsten Mai sein wird. Unnütz, mir Gedanken zu machen.

Rechts die kleine Hütte wurde neu gebaut und wird für die Quest benutzt, wenn die Weidenzweige so lange mitspielen

Die letzten Camps waren intensiv, brachten mich manchmal an meine Grenzen. Viele Themen kamen hoch. Hege den Verdacht, dass es darum geht, mich zu klären. Als Zen-Praktizierender ist mir klar, dass es da keine Trennung gibt. Alles, was ich im Inneren kläre, klärt sich im Außen. Das geht Hand in Hand.

Im August war ich an einem Punkt, wo ich das Gefühl hatte, die Quest ist zu Ende. Plötzlich war alles Vertrauen verschwunden. Vertrauen zum Platz, zu den Menschen, zum Berg, zur Schwitzhütte. Ich wollte nur noch weg, sprach von Verrat. Ich wurde aufgefangen, ausgehalten, getragen. Dafür ein großes DANKE.
Ein wichtiger Prozess für mich. Erkannte in der Reflexion den Mangel meines eigenen Vertrauens und meinen eigenen Verrat. Erschütterung und Heilung zugleich.

Jetzt im Novembercamp läuft beim Erwachen am Samstagmorgen ein Film in mir ab. Eine Chronologie unterschiedlicher Erkenntnisse, die alle aufeinander aufbauen. Spüre Last, die nicht meine ist. Erkenne mein Leben als Puzzlestückchen, die jetzt ein Bild ergeben. Nicht auf der materiellen Ebene. Auf der Ebene des Seins. Schlimm, wenn andere meinen, sie müssen aus mir ein Puzzle machen und es an die Wand hängen. Was für eine Narretei! Da muss ich ganz schön unbequem werden, bis sie es freiwillig wieder abnehmen. Eine Episode aus einem Vortrag von Claude Diolosa schließt sich nahtlos an.
Mönche erstellen in monatelanger Arbeit ein Mandala. Wenn es fertig ist, wird es sofort zusammengekehrt. „Das Mandala, das bist du!“
Als ich das zum ersten Mal hörte, erschrak ich. Jetzt sehe ich die große Freiheit darin. Nichts ist von Bestand. Es gibt nichts zu erreichen. Kein „um zu“. Nur das beständige Fortschreiten auf dem Weg. Immer nur das Jetzt. Das Tun ohne Zweck und ohne Warum. Wenn du damit fertig bist, wisch es weg. Keine Anhaftung. Etwas Neues beginnt. Das ist das ständige Stirb und Werde in diesem unserem Leben. Wunderbar!
Hatte lange Zeit Sorge um meinen Körper während der Quest. Kein Essen, kein Trinken. Eine neue Erkenntnis. Der Körper ist das Gefäß, in das sich der Geist hineingegossen hat. Eine Quest ist für den Geist. So kann diese dem Körper nicht schaden, da der Geist in für seine Weiterentwicklung benötigt.

Tibetisches Mandala

Am Samstag beschließe ich Feuer zu machen. Kurz bevor es in die Hütte geht, setzt sich Tobias neben mich. „Das wird das letzte Mal sein, dass du Feuer machst, bevor du auf den Berg gehst. Genieße es.“ Spüre ein leichtes Zucken in mir. Fast wie ein Erschrecken. Es ist so, als ob es nun Ernst wird. Die erste Phase ist vorüber. Halbzeit. Es ist so absolut. Dieses Feuer machen ist anders. Unglaublich intensiv. Ab der dritten Tür trage ich keine Steine mehr zur Hütte. Greife mir den Wedel. Reinige die Steine von Asche und Glutresten, bevor sie in die Hütte getragen werden. So erfüllend. Begrüße jeden dieser „Großväter“, gehe mit ihnen in Kontakt.
Nach der Schwitzhütte stehe ich am Feuer. Zwischen dunklen, angekohlten Holzstücken, leuchtet in der Tiefe Glut. Schimmernd und blinkend. Wie Gold und Edelsteine. Der Schatz ist im Acker vergraben. In der Dunkelheit. In uns selbst. Einige Tränen stehlen sich aus meinen Augen. Abschied nehmen. Jetzt erst wird mir klar, wie sehr ich diese Arbeit als Feuermann liebe. Ist das immer so? Erkennen wir erst, was wir lieben, wenn es nicht mehr da ist?

Ein intensives Camp geht zu Ende. Fahre mit Frieden nachhause. Für mich ist das nächste Treffen erst im Februar. Zeit zur Integration. Zeit zur Vorbereitung. Zeit, um Tobacco-Ties zu knüpfen. Von den 405 Stück, die ich brauchen werde, sind gut die Hälfte geschafft. Kleine Stoffbeutelchen mit etwas Tabak und einem Gebet gefüllt. Aufgereiht an einem langen roten Wollfaden. Dieses lange Band wird die Begrenzung meines Platzes auf dem Berg sein.

Mitakuye Oyasin
(Für alle meine Verwandten)

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